Pressemitteilung Aktuell 24. November 2023

Israel/Gaza: Einsatz Deutschlands für dauerhaften, humanitären Waffenstillstand benötigt

Das Bild zeigt das Porträtfoto eines Mannes

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist vom 26. bis 29. November 2023 nach Israel, Oman und Katar (Archivaufnahme).

Amnesty International begrüßt das Abkommen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas sowie zur Freilassung von Geiseln. Eine Unterbrechung der Angriffe aller Konfliktparteien reicht jedoch nicht aus. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sollte sich daher in den politischen Gesprächen auf seiner Nahost-Reise für einen humanitären Waffenstillstand einsetzen, um weitere zivile Opfer im Gazastreifen und in Israel zu verhindern und um den ungehinderten Zugang humanitärer Hilfe zu ermöglichen.

 Zum anstehenden Besuch des deutschen Bundespräsidenten in Israel, Oman und Katar sagt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für Nahost und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland:

"Amnesty International begrüßt das Abkommen über die Freilassung von mindestens 50 Geiseln sowie über eine viertägige Feuerpause als einen wichtigen ersten Schritt. Diesem muss die Freilassung aller ziviler Geiseln sowie die Vereinbarung eines umfassenden Waffenstillstands folgen. Eine zeitlich begrenzte humanitäre Feuerpause reicht nicht aus, um für einen umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung Sorge tragen zu können. Es braucht einen dauerhaften Waffenstillstand aller Konfliktparteien auf unbestimmte Zeit, um weitere zivile Opfer im Gazastreifen und in Israel zu verhindern und um den ungehinderten Zugang humanitärer Hilfe zu ermöglichen. Wir fordern das deutsche Staatsoberhaupt und die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen.

Dass am heutigen Nachmittag – nach 48 Tagen – die ersten 13 von der Hamas als Geiseln genommenen Kinder und Frauen freikommen sollen, ist eine Erlösung für alle Betroffenen und ihre Familien, auch wenn das Trauma der Entführung noch lange nachwirken wird. Wir freuen uns von ganzem Herzen für die Freigelassenen und ihre Familien und fordern erneut alle bewaffneten Gruppen auf, sofort und bedingungslos alle anderen Zivilpersonen freizulassen, die weiterhin im Gazastreifen als Geiseln gehalten werden. Geiselnahme ist ein Kriegsverbrechen. Diejenigen, die für die Entführungen von Zivilpersonen und für Freiheitsberaubung verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Diesem ersten Schritt muss die Freilassung aller ziviler Geiseln sowie die Vereinbarung eines umfassenden Waffenstillstands folgen. Solange die Verhandlungen darüber andauern, müssen unabhängige Dritte – einschließlich medizinischen Personals – sofortigen Zugang zu den Geiseln erhalten, um eine angemessene Versorgung sowie eine Kommunikation zu den Angehörigen der Geiseln sicherstellen zu können. Berichte, wonach die Hamas dem Internationalen Roten Kreuz den Zugang zu den Geiseln verweigert, sind zutiefst verstörend. Bundespräsident Steinmeier sollte bei seinem Besuch in Katar diesen Aspekt prioritär ansprechen.

Angesichts von über 14.000 getöteten Palästinenser*innen, darunter über 5.500 Kinder und Minderjährige, sowie von über 30.000 Verletzten, drängt Amnesty International darauf, die mehrtägige Feuerpause in einem dauerhaften Waffenstillstand zu überführen. Über zwei Millionen Palästinenser*innen im Gazastreifen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen, die Verletzten müssen behandelt und die Toten beerdigt werden können. Eine viertägige Feuerpause ist angesichts des Ausmaßes an menschlichem Leid im Gazastreifen nicht ausreichend.

Ein dauerhafter Waffenstillstand muss auch die Grundlage dafür sein, den ungehinderten Zugang von Personal des UN Hochkommissars für Menschenrechte, der Untersuchungskommission für Israel und Palästina, des UN-Sonderberichterstatters für die besetzten palästinensischen Gebiete, des Internationalen Strafgerichtshofs sowie von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zu ermöglichen, um mögliche Verletzungen internationalen Rechts sowie mögliche Kriegsverbrechen aller Konfliktparteien unabhängig zu untersuchen.

Amnesty International hat Kriegsverbrechen der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen dokumentiert, ebenso wie Kriegsverbrechen und mögliche Kriegsverbrechen durch Israel. "Wir fordern Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, bei seinem Besuch in Israel deutlich zu machen, dass die regelbasierte internationale Ordnung, der Respekt für das humanitäre Völkerrecht und die Achtung der universellen Menschenrechte, die erklärtermaßen die Grundpfeiler deutscher Außenpolitik darstellen, auch in Hinblick auf die aktuelle Eskalation in Israel und Gaza gelten." Müller-Fahlbusch sagt: "Kriegsverbrechen nur einer Konfliktpartei zu benennen, ist nicht nur einseitig, sondern untergräbt die Glaubwürdigkeit der von der Bundesregierung angekündigten menschenrechtsbasierten Außenpolitik in nachhaltiger Weise."

Hintergrund

Amnesty International hat dokumentiert, wie die Hamas und andere bewaffnete Gruppen am 7. Oktober 2023 wahllos Raketen auf Israel abfeuerten und Kämpfer nach Israel schickten, die Kriegsverbrechen wie vorsätzliche Massentötungen von Zivilist*innen und Geiselnahmen begingen. Auch der wahllose Raketenbeschuss auf Israel durch die Hamas und andere bewaffnete Gruppen stellt ein Kriegsverbrechen dar.

Die Organisation hat auch erdrückende Hinweise für Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte im Rahmen ihrer Gaza-Offensive dokumentiert, einschließlich anderer wahlloser Angriffe, die zu massiven Opfern unter der Zivilbevölkerung führten, ganze Familien auslöschten und Wohnviertel zerstörten. Amnesty International fordert, diese Angriffe als Kriegsverbrechen zu untersuchen. Die am 9. Oktober verkündete vollständige Abriegelung des Gazastreifens stellt eine kollektive Bestrafung und damit ein Kriegsverbrechen dar. Die Aufforderung, den nördlichen Teil des Gazastreifens zu "evakuieren", könnte einer Zwangsumsiedelung gleichkommen.

Angesichts der dramatischen und stetig steigenden Todeszahlen im Gazastreifen, der zehntausenden Verletzten und angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen fordert Amnesty International alle Konfliktparteien aus humanitären Gründen zu einem Waffenstillstand auf. Weltweit haben bereits weit über eine Million Menschen unseren Aufruf unterzeichnet, mehr als 35.000 Menschen davon allein in Deutschland.

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